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Risiken und Chancen des Agenturmodells für den Vertrieb von Neufahrzeugen

Dr. Christof Engelskirchen | 08 Mai 2023

Über den Autor

Dr. Christof Engelskirchen

A thought leader whose opinions are highly regarded by the automotive industry. As our Group’s Chief Economist Christof looks out for current and emerging trends in the automotive and adjacent industries and puts them into context for our clients and us.


Dr. Christof Engelskirchen, Chief Economist der Autovista Group, erklärt die Auswirkungen des Agenturmodells für den Neuwagenverkauf und erörtert die Frage, ob die erwarteten Vorteile die Herausforderungen überwiegen.

 

Die Umbrüche, mit denen die Automobilindustrie in den letzten drei Jahren konfrontiert war, waren gleichzeitig der Nährboden für die Digitalisierung der Kundenerfahrung beim Fahrzeugkauf. Zweifellos ist das neue Geschäftsmodell für den Autokauf kanalübergreifend und die ideale Kundenreise geprägt von einem nahtlosen Übergang zwischen den verschiedenen Kanälen und einem Kauferlebnis ohne die Notwendigkeit von Preisverhandlungen.

Diese Ansicht teilen auch mehrere Automobilmarken, die das Agenturmodell bereits in den Verkauf und Vertrieb ihrer Fahrzeuge integrieren. Hierfür werden bereits bestehende Händlerverträge entweder ganz oder teilweise in das neue System überführt oder es wird von Grund auf ein neues Geschäftsmodell aufgebaut.

Beim Agenturmodell übernimmt der Automobilhersteller in der Wertschöpfungskette die Kontrolle über den Informationsfluss, die Preisfindung und Vertragsgestaltung – also die Etappen der Kundenreise, die größtenteils auf einer digitalen Ebene stattfinden. Der Vermittler (früher der Vertragshändler) unterhält eine physische Umgebung für die Interaktion mit dem Kunden, begleitet den Käufer beratend, bietet Probefahrten an und kümmert sich um die Auslieferung der Fahrzeuge. Die klare Differenzierung dieser Rollen ist die Voraussetzung für eine wirklich nahtlose Kundenreise, bei der für alle Beteiligten Preissicherheit herrscht.


Die Rollen des Automobilherstellers/der nationalen Vertriebsgesellschaft und des Vermittlers im Agenturmodell

In der Vergangenheit blieben die Automobilhersteller bei der endgültigen Preisgestaltung und den vertraglichen Vereinbarungen außen vor, für die Kundenbeziehung waren fast ausschließlich die Vertragshändler verantwortlich. Die Fahrzeughersteller wussten nicht, wer ihre Produkte kaufte. Der Händler handelte den endgültigen Preis aus und trug das wirtschaftliche Risiko für seine Vorführmodelle und das Restwertrisiko für Fahrzeuge, die im Rahmen von Leasing- oder Finanzierungsvereinbarungen zurückgingen, sowie das Ausfallrisiko.


Das Agenturmodell sorgt für Preisdisziplin

Im bisherigen Modell liefen die Autos beim Hersteller vom Band, die Vertragshändler nahmen die produzierten Mengen ab und verkauften sie. In Zeiten von Überkapazitäten, Mengenrabatten und der Bündelung der Angebote von Händlern kam es häufig zu Rabattschlachten, die sich negativ auf Margen und Restwerte auswirkten, was wiederum die Gewinne drückte.

Im Rahmen des Agenturmodells übernehmen die Hersteller das gesamte Risiko für alle von ihnen produzierten Fahrzeuge, da sie der Vertragspartner sind. Außerdem haben sie Zugang zu allen Informationen, die bisher nur der Händler hatte. Ein erwarteter Vorteil eines solchen Modells ist aus Sicht des Herstellers die volle Kontrolle über Preisgestaltung und Rabatte, die im Idealfall die Rabattierung von Neuwagen eingrenzen könnte. Niedrige Rabatte sind ein wichtiger Faktor für eine solide Entwicklung der Restwerte von Fahrzeugen und stabilisieren den Kreislauf hoher Transaktionspreise, stabiler Restwerte, geringer Subventionen für Leasingverträge und einer positiven Gewinnentwicklung.

Es gibt unterschiedliche Modelle für die Ausgestaltung der Aufgabe der Vermittler und ihrer finanziellen Anreize. Sie erhalten üblicherweise für jeden Abschluss, an dem sie beteiligt sind, eine Provision und bekommen Vorführwagen für Probefahrten. Doch es sind auch andere finanzielle Beteiligungen denkbar, so könnten sie Vergütungen für Probefahrten und für Fahrzeugübergaben erhalten oder Prämien für einen besonders positiv bewerteten Kundenservice.


Veränderte Beziehungen im traditionellen Vertriebsmodell (links) gegenüber dem Agenturmodell (rechts)


Herausforderungen des Agenturmodells

Mit dem Agenturmodell gewinnt der Hersteller mehr Nähe zum Käufer und kann so eine disziplinierte Preisgestaltung kontrollieren – allerdings birgt es auch einige erhebliche Herausforderungen.

  • Die Bilanzen der Automobilhersteller werden durch das Agenturmodell massiv aufgebläht, da sie die Produkte bis zum Verkauf halten. Dieses Problem wird durch den zunehmenden Trend zu Leasingmodellen und Kundenfinanzierungen verschärft, durch die weitere Vermögensrisiken in die Bilanzen eingehen.
  • Ein offensichtliches Risiko des Agenturmodells ist der Verlust des unternehmerischen Denkens beim Händler/Vertreter.
  • Zwar kann die Kundenbindung nun auf Ebene des Herstellers aufgebaut werden, geht aber auf Agenturebene möglicherweise verloren.
  • In Zeiten voller Auftragsbücher, also einem Verkäufermarkt, lassen sich die Preise für Neuwagen leicht kontrollieren und durchsetzen; sobald der Nachfragedruck nachlässt und damit ein Käufermarkt entsteht, könnte es dem Agenturmodell jedoch an Agilität und Flexibilität mangeln. Der Hersteller wird kaum umhinkommen, Überlegungen über zusätzliches Personal, effiziente Preisstrategien und leistungsfähige Workflow-Lösungen anzustellen.
  • Gerade bei Hybridmodellen, d. h. wenn ein Teil der Fahrzeuge über das traditionelle Händlermodell und ein Teil über das Agenturmodell vertrieben wird, riskieren die Hersteller möglicherweise ihre Marge, da sie zusätzliche Kosten und Investitionen tragen, ohne in vollem Umfang von den erwarteten Effizienzgewinnen des Agenturmodells zu profitieren.
  • Fehler bei der Preissetzung können sich negativ auf die Absatzzahlen auswirken. Mit der wachsenden Anzahl der Hersteller, die mit dem Agenturmodell arbeiten, steigen auch Preistransparenz und Vergleichbarkeit der Fahrzeuge. Verkäufe können an einer nicht wettbewerbsfähigen Preisstrategie scheitern. Massenmarken dürften einem solchen Risiko stärker ausgesetzt sein als Premiummarken, da sie höhere Umschlagzahlen erfordern.
  • Es gibt neues Konfliktpotenzial zwischen Herstellern und Agenturen. Der Vermittler trägt ein geringeres, aber immer noch erhebliches finanzielles Risiko. Wenn ein Verkauf nicht zustande kommt, weil die Preise nicht stimmen oder einfach die Verkaufssoftware ausgefallen ist, wirkt sich dies direkt auf die Gewinne des Vermittlers aus, da er nicht mehr so flexibel reagieren kann wie in der Vergangenheit.


Risiken und Chancen des Agenturmodells

Die Befürworter des Agenturmodells bezeichnen es als die einzige zukunftsorientierte Strategie, die eine naht- und reibungslose kanalübergreifende Kundenreise ermöglicht. Es ist in vieler Hinsicht vielversprechend, stellt aber die Beteiligten vor neue wesentliche Herausforderungen, deren Bewältigung sich als schwierig und kostspielig erweisen könnte. Viele der weltweit größten Automobilkonzerne gehen derzeit zu einem Agenturmodell über. Somit wird sich bald im Praxistest herausstellen, ob es die erwarteten Vorteile bringt.


Dieser Inhalt wird Ihnen präsentiert von Autovista24.

Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass es sich bei diesem Artikel um eine Übersetzung handelt. Das Original wurde in englischer Sprache auf Autovista24 veröffentlicht. Sollte dieser Artikel kleinere grammatikalische Fehler enthalten, bitten wir, dies zu entschuldigen. Im Falle einer Diskrepanz zwischen den beiden Texten ist die englische Version maßgeblich.

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