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Wie wird sich das Agenturmodell auf die Restwerte von Fahrzeugen auswirken?


Die Automobilindustrie befindet sich in einem massiven Umbruch − die COVID-19-Pandemie hat die Automobilhersteller gezwungen, ihre traditionellen Verkaufsmodelle zu überdenken. Anstatt sich auf den Vertrieb über Autohäuser zu verlassen, suchen die Hersteller nach Möglichkeiten, ihre Neufahrzeuge direkt an die Verbraucher zu verkaufen.

Eine Alternative, um mehr Kontrolle über den Verkaufsprozess zu erlangen, ist die Einführung des Agenturmodells. Damit übernimmt der Autohändler die Rolle eines Vermittlers zwischen dem Hersteller und dem Verbraucher mit dem Ergebnis, dass die Kontrolle über die Preisgestaltung auf den Hersteller übergeht. Die Händler würden in diesem Modell als Vermittler fungieren, die im Offline-Teil dieses Omnikanal-Vertriebsmodells für die Kundenerfahrung verantwortlich sind.

Eurotax Schweiz und Eurotax Österreich, die beide zur Autovista Group gehören, haben das Agenturmodell in ihren jüngsten Webinaren Der Trend zum Agenturmodell im Automobilhandel (siehe Links am Ende der Seite) analysiert. Dr. Christof Engelskirchen, Chief Economist der Autovista Group, nahm als Gastredner an der Diskussion teil und informierte über die aktuellen Entwicklungen.

„Der größte Unterschied zwischen dem traditionellen Vertriebsmodell und dem Agenturmodell besteht darin, dass das Vermögens- und Kreditrisiko sowie ein Großteil der kommerziellen Risiken beim Hersteller oder Importeur liegen“, so Engelskirchen. „Beachtet werden muss auch, dass beim Agenturmodell viele Varianten möglich sind, die alle unter Gesichtspunkten des Wettbewerbsrechts genau geprüft werden müssen.“


Traditionelles Verkaufsmodell oder Agenturmodell

Große Automobilhersteller wie BMW, Ford, Mercedes-Benz, die Volkswagen-Gruppe, Volvo und Stellantis planen auf den europäischen Märkten die Einführung des Agenturmodells, das von vielen bereits als die Zukunft des Automobilhandels gesehen wird.

Dieses Geschäftsmodell wirkt sich zunächst direkt auf den Neuwagenverkauf aus, wird aber auch den Gebrauchtwagenmarkt und die Entwicklung der Restwerte beeinflussen.


Agenturmodell
Quelle: Autovista Group


Vorstoß des Agenturmodells seit der Pandemie

Engelskirchen erklärte, das Agenturmodell sei kein wirklich neues Konzept, die Pandemie habe jedoch als Katalysator für die Einführung gedient und es ins Rampenlicht gerückt.

Im Vergleich zum traditionellen Fahrzeugverkauf, bei dem ein möglichst hohes Absatzvolumen im Vordergrund steht, wird das Agenturmodell als geeigneter angesehen, um die Gewinnspanne zu optimieren und gleichzeitig das Kauferlebnis für den Kunden zu verbessern. Mit anderen Worten: Der Verkauf von weniger Autos zu höheren Transaktionspreisen könnte einen potenziellen Rückgang von Verkaufsabschlüssen im Rahmen des Agenturmodells ausgleichen.

So könnten die Hersteller auch selbst bestimmen, an wen sie Autos verkaufen. Derzeit sind es die Händler, die Verbraucherdaten erheben. Das Agenturmodell würde die Rollen völlig neu verteilen und es den Herstellern ermöglichen, diese Erkenntnisse in großem Umfang zu gewinnen und zu nutzen.

Aus Sicht des Kunden ist der Kauf eines Fahrzeugs direkt beim Hersteller ein problemloser und nahtloser Prozess. Es verteilt die Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen dem Automobilhersteller und dem Händler, wobei ersterer für die Preisgestaltung und letzterer für die Beratung, Probefahrten und die Fahrzeugauslieferung zuständig ist. Dieser Ansatz lässt nur sehr wenig Spielraum für Vorab-Rabatte und Verhandlungen, wenn es um den Kauf eines einzelnen Fahrzeugs geht. Das bedeutet auch, dass die Verbraucher nicht mehr feilschen müssen.

Engelskirchen erklärte, dass die Automobilhersteller ihre Preisstrategie dann immer noch an die Aktivitäten der Wettbewerber anpassen können. Dazu könnten Angebote zusätzlicher Ausstattungsoptionen, attraktive Leasingraten, Treueprogramme mit Vorteilen für wiederkehrende Kunden oder spezielle Modelle und Farben während der Einführungs- oder Auslaufphase von Fahrzeugen gehören.

Das Agenturmodell bietet also viel Flexibilität für die Automobilhersteller, birgt aber auch Risiken. Beim traditionellen Vertriebsmodell werden diese Risiken zwischen dem Händler, dem Importeur und dem Hersteller aufgeteilt.

So muss der Automobilhersteller beispielsweise einen Teil der Overheadkosten der Agentur tragen und die im Ausstellungsbereich bereitstehenden und für Probefahrten eingesetzten Fahrzeuge finanzieren. Die Agentur muss möglicherweise Nutzungsgebühren für Testfahrten zahlen. Die genauen vertraglichen Vereinbarungen werden jedoch variieren und von den Verhandlungen zwischen den Beteiligten abhängen.


Vor- und Nachteile des Agenturmodells

Das Agenturmodell bietet Vor- und Nachteile sowohl für die Hersteller als auch für die Händler, von denen einige nicht gerade begeistert über die Aussicht sind, in Zukunft nur noch als Vermittler zu fungieren. Für die Hersteller ergeben sich daraus Vorteile wie Preiskontrolle, weniger Rabatte und höhere Restwerte sowie eine einfachere Möglichkeit, eine direkte Beziehung zum Verbraucher aufzubauen.

Für die Händler bedeutet das Agenturmodell weniger wirtschaftliche Risiken, eine klare Fokussierung auf die Vereinfachung des Verkaufsprozesses und den Entfall von Preisverhandlungen. So können sie sich stärker auf zusätzliche Dienstleistungen wie Carsharing oder das Aufladen von Elektrofahrzeugen konzentrieren.

Dennoch werden Autohändler beim An- und Verkauf von Gebrauchtwagen auch weiterhin eine vorrangige Rolle spielen. Engelskirchen erläuterte kürzlich , dass die Liste der Nachteile für die Automobilhersteller beträchtlich ist und neben Absatz- und Vermögensrisiken auch Geschäftseinbußen mit sich bringen kann. Ihnen entstehen höhere Kosten für die Lagerung und die Preisgestaltung muss zentralisiert werden, auch Rechtsstreitigkeiten mit Händlern gehören zu den neuen Risiken.

Die Rolle der Händler wird durch das Agenturmodell ebenfalls stark beeinflusst, da sie mit geringeren Gewinnspannen und einem Verlust an Kundenkontakt und -bindung rechnen müssen. Sie verfügen über weniger Flexibilität, wenn es darum geht, Zahlungsoptionen und Rabatte anzubieten.


Risiken und Vorteile des AgenturmodellsAuswirkungen auf die Restwerte

Das Modell wird den Autoherstellern die Möglichkeit geben, die Listenpreise zu senken oder attraktive Konfigurationen und Leasingangebote anzubieten, anstatt dem Kunden bestimmte Rabatte vorzuschlagen. Rabattschlachten werden so vermieden.

„Wir rechnen damit, dass sich das Agenturmodell positiv auf das Restwertniveau der Marken auswirken wird. Der größte Pluspunkt ist die Vermeidung von Rabattschlachten, die die Restwertentwicklung nachteilig beeinflussen. Es ist einfacher, die Listenpreise anzupassen“, sagte Engelskirchen.

Höhere Leasingquoten und ein verbessertes Marketing für batterieelektrische Fahrzeuge (BEVs) sind ebenfalls wahrscheinlich, da sie auf dem Gebrauchtwagenmarkt zunehmend an Bedeutung gewinnen. Insgesamt wird das Agenturmodell es den Automobilherstellern ermöglichen, sich auf die Margen und nicht so sehr auf die Stückzahlen zu konzentrieren, was beides eine positive Auswirkung auf die Restwerte nach sich zieht.


Die Zukunft des Automobilhandels

Wird das Agenturmodell also die Zukunft des Automobilhandels dominieren? „Wir müssen darauf hinweisen, dass das Agenturmodell mit anderen Vertriebsmodellen koexistieren wird“, kommentierte Engelskirchen.

„Einige der etablierten europäischen Marken und mehrere chinesische Marken haben bereits angekündigt, dass sie sich weiterhin auf das traditionelle Vertriebsmodell konzentrieren werden. Es bleibt abzuwarten, ob das Agenturmodell in einem Umfeld erfolgreich arbeiten kann, in dem es mit dem traditionellen Vertriebsmodell konkurriert, dass das Absatzvolumen recht erfolgreich steigern kann“, fügte er hinzu.

Rainer Hintermayer, Market Analyst bei Eurotax, zeigte die wachsende Bedeutung des Agenturmodells in Österreich auf, wo bereits viele Automobilhersteller mit Pilotprojekten experimentieren. Tesla war einer der ersten Autohersteller, der das Verkaufsmodell in dem Land einführte, gefolgt von Mercedes-Benz. Auch Polestar geht diesen Weg, ebenso große Marken wie die BMW Group.

Bis zum Ende dieses Jahrzehnts wird sich das Agenturmodell in Europa deutlich stärker durchsetzen, auch wenn es weiterhin Hersteller geben wird, die auf die Einführung dieses Modells verzichten. Dazu werden wahrscheinlich asiatische Marken wie Toyota, Hyundai, Nissan, Honda, Mazda, Suzuki, BYD und MG gehören.

Weitere Informationen zum Thema finden Sie auch in den Aufzeichnungen unserer Webinare über den Automobilmarkt in Österreich bzw. in der Schweiz (in deutscher Sprache):


Schweiz: https://register.gotowebinar.com/recording/2911414862270044847

Österreich: https://attendee.gotowebinar.com/recording/6376720370896930987


Dieser Inhalt wird Ihnen präsentiert von Autovista24.

Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass es sich bei diesem Artikel um eine Übersetzung handelt. Das Original wurde in englischer Sprache auf Autovista24 veröffentlicht. Sollte dieser Artikel kleinere grammatikalische Fehler enthalten, bitten wir, dies zu entschuldigen. Im Falle einer Diskrepanz zwischen den beiden Texten ist die englische Version maßgeblich.

Risiken und Chancen des Agenturmodells für den Vertrieb von Neufahrzeugen


Dr. Christof Engelskirchen, Chief Economist der Autovista Group, erklärt die Auswirkungen des Agenturmodells für den Neuwagenverkauf und erörtert die Frage, ob die erwarteten Vorteile die Herausforderungen überwiegen.

 

Die Umbrüche, mit denen die Automobilindustrie in den letzten drei Jahren konfrontiert war, waren gleichzeitig der Nährboden für die Digitalisierung der Kundenerfahrung beim Fahrzeugkauf. Zweifellos ist das neue Geschäftsmodell für den Autokauf kanalübergreifend und die ideale Kundenreise geprägt von einem nahtlosen Übergang zwischen den verschiedenen Kanälen und einem Kauferlebnis ohne die Notwendigkeit von Preisverhandlungen.

Diese Ansicht teilen auch mehrere Automobilmarken, die das Agenturmodell bereits in den Verkauf und Vertrieb ihrer Fahrzeuge integrieren. Hierfür werden bereits bestehende Händlerverträge entweder ganz oder teilweise in das neue System überführt oder es wird von Grund auf ein neues Geschäftsmodell aufgebaut.

Beim Agenturmodell übernimmt der Automobilhersteller in der Wertschöpfungskette die Kontrolle über den Informationsfluss, die Preisfindung und Vertragsgestaltung – also die Etappen der Kundenreise, die größtenteils auf einer digitalen Ebene stattfinden. Der Vermittler (früher der Vertragshändler) unterhält eine physische Umgebung für die Interaktion mit dem Kunden, begleitet den Käufer beratend, bietet Probefahrten an und kümmert sich um die Auslieferung der Fahrzeuge. Die klare Differenzierung dieser Rollen ist die Voraussetzung für eine wirklich nahtlose Kundenreise, bei der für alle Beteiligten Preissicherheit herrscht.


Die Rollen des Automobilherstellers/der nationalen Vertriebsgesellschaft und des Vermittlers im Agenturmodell

In der Vergangenheit blieben die Automobilhersteller bei der endgültigen Preisgestaltung und den vertraglichen Vereinbarungen außen vor, für die Kundenbeziehung waren fast ausschließlich die Vertragshändler verantwortlich. Die Fahrzeughersteller wussten nicht, wer ihre Produkte kaufte. Der Händler handelte den endgültigen Preis aus und trug das wirtschaftliche Risiko für seine Vorführmodelle und das Restwertrisiko für Fahrzeuge, die im Rahmen von Leasing- oder Finanzierungsvereinbarungen zurückgingen, sowie das Ausfallrisiko.


Das Agenturmodell sorgt für Preisdisziplin

Im bisherigen Modell liefen die Autos beim Hersteller vom Band, die Vertragshändler nahmen die produzierten Mengen ab und verkauften sie. In Zeiten von Überkapazitäten, Mengenrabatten und der Bündelung der Angebote von Händlern kam es häufig zu Rabattschlachten, die sich negativ auf Margen und Restwerte auswirkten, was wiederum die Gewinne drückte.

Im Rahmen des Agenturmodells übernehmen die Hersteller das gesamte Risiko für alle von ihnen produzierten Fahrzeuge, da sie der Vertragspartner sind. Außerdem haben sie Zugang zu allen Informationen, die bisher nur der Händler hatte. Ein erwarteter Vorteil eines solchen Modells ist aus Sicht des Herstellers die volle Kontrolle über Preisgestaltung und Rabatte, die im Idealfall die Rabattierung von Neuwagen eingrenzen könnte. Niedrige Rabatte sind ein wichtiger Faktor für eine solide Entwicklung der Restwerte von Fahrzeugen und stabilisieren den Kreislauf hoher Transaktionspreise, stabiler Restwerte, geringer Subventionen für Leasingverträge und einer positiven Gewinnentwicklung.

Es gibt unterschiedliche Modelle für die Ausgestaltung der Aufgabe der Vermittler und ihrer finanziellen Anreize. Sie erhalten üblicherweise für jeden Abschluss, an dem sie beteiligt sind, eine Provision und bekommen Vorführwagen für Probefahrten. Doch es sind auch andere finanzielle Beteiligungen denkbar, so könnten sie Vergütungen für Probefahrten und für Fahrzeugübergaben erhalten oder Prämien für einen besonders positiv bewerteten Kundenservice.


Veränderte Beziehungen im traditionellen Vertriebsmodell (links) gegenüber dem Agenturmodell (rechts)


Herausforderungen des Agenturmodells

Mit dem Agenturmodell gewinnt der Hersteller mehr Nähe zum Käufer und kann so eine disziplinierte Preisgestaltung kontrollieren – allerdings birgt es auch einige erhebliche Herausforderungen.

  • Die Bilanzen der Automobilhersteller werden durch das Agenturmodell massiv aufgebläht, da sie die Produkte bis zum Verkauf halten. Dieses Problem wird durch den zunehmenden Trend zu Leasingmodellen und Kundenfinanzierungen verschärft, durch die weitere Vermögensrisiken in die Bilanzen eingehen.
  • Ein offensichtliches Risiko des Agenturmodells ist der Verlust des unternehmerischen Denkens beim Händler/Vertreter.
  • Zwar kann die Kundenbindung nun auf Ebene des Herstellers aufgebaut werden, geht aber auf Agenturebene möglicherweise verloren.
  • In Zeiten voller Auftragsbücher, also einem Verkäufermarkt, lassen sich die Preise für Neuwagen leicht kontrollieren und durchsetzen; sobald der Nachfragedruck nachlässt und damit ein Käufermarkt entsteht, könnte es dem Agenturmodell jedoch an Agilität und Flexibilität mangeln. Der Hersteller wird kaum umhinkommen, Überlegungen über zusätzliches Personal, effiziente Preisstrategien und leistungsfähige Workflow-Lösungen anzustellen.
  • Gerade bei Hybridmodellen, d. h. wenn ein Teil der Fahrzeuge über das traditionelle Händlermodell und ein Teil über das Agenturmodell vertrieben wird, riskieren die Hersteller möglicherweise ihre Marge, da sie zusätzliche Kosten und Investitionen tragen, ohne in vollem Umfang von den erwarteten Effizienzgewinnen des Agenturmodells zu profitieren.
  • Fehler bei der Preissetzung können sich negativ auf die Absatzzahlen auswirken. Mit der wachsenden Anzahl der Hersteller, die mit dem Agenturmodell arbeiten, steigen auch Preistransparenz und Vergleichbarkeit der Fahrzeuge. Verkäufe können an einer nicht wettbewerbsfähigen Preisstrategie scheitern. Massenmarken dürften einem solchen Risiko stärker ausgesetzt sein als Premiummarken, da sie höhere Umschlagzahlen erfordern.
  • Es gibt neues Konfliktpotenzial zwischen Herstellern und Agenturen. Der Vermittler trägt ein geringeres, aber immer noch erhebliches finanzielles Risiko. Wenn ein Verkauf nicht zustande kommt, weil die Preise nicht stimmen oder einfach die Verkaufssoftware ausgefallen ist, wirkt sich dies direkt auf die Gewinne des Vermittlers aus, da er nicht mehr so flexibel reagieren kann wie in der Vergangenheit.


Risiken und Chancen des Agenturmodells

Die Befürworter des Agenturmodells bezeichnen es als die einzige zukunftsorientierte Strategie, die eine naht- und reibungslose kanalübergreifende Kundenreise ermöglicht. Es ist in vieler Hinsicht vielversprechend, stellt aber die Beteiligten vor neue wesentliche Herausforderungen, deren Bewältigung sich als schwierig und kostspielig erweisen könnte. Viele der weltweit größten Automobilkonzerne gehen derzeit zu einem Agenturmodell über. Somit wird sich bald im Praxistest herausstellen, ob es die erwarteten Vorteile bringt.


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Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass es sich bei diesem Artikel um eine Übersetzung handelt. Das Original wurde in englischer Sprache auf Autovista24 veröffentlicht. Sollte dieser Artikel kleinere grammatikalische Fehler enthalten, bitten wir, dies zu entschuldigen. Im Falle einer Diskrepanz zwischen den beiden Texten ist die englische Version maßgeblich.

Das Blatt wendet sich – Absturz der Gebrauchtwagenmärkte 2022, Erholung 2023?


Die Pandemie hat den europäischen Gebrauchtwagenmärkten solide Gewinne beschert, mit Preisen, die durch die Decke gingen. Doch in diesem Jahr hat sich die Situation geändert, und der Gebrauchtwagenmarkt ist unter Druck geraten. Dr. Christof Engelskirchen, Chief Economist der Autovista Group, gibt eine Prognose für das Jahr 2023 ab.

Während der Pandemie boomten die Gebrauchtwagenmärkte. Die Nachfrage überstieg das Angebot, da die Menschen nach sicheren Alternativen zu öffentlichen Verkehrsmitteln suchten und ältere Gebrauchtwagen durch neuere ersetzten. Die Preise stiegen immer weiter.
Auch das reduzierte Neuwagenangebot trug zu einem Aufschwung der Gebrauchtwagenmärkte bei. Dies bescherte den Stakeholdern, die gleichzeitig ein mangelndes Angebot beklagten, satte Gewinne. Der Preisanstieg hat sich in letzter Zeit verlangsamt, aber der Markt hat seinen Wendepunkt noch nicht erreicht – mit Ausnahme einiger kleinerer Abwärtskorrekturen, wie zum Beispiel in Finnland, Polen und Großbritannien.

Gebrauchtwagen-Preisindex nach Land


Quelle: Autovista Group, Residual Value Intelligence
 
Weniger Gebrauchtwagen-Transaktionen im Jahr 2022

Im Vergleich zu den Neuzulassungen hielten sich die Gebrauchtwagenverkäufe zunächst gut. Zwischen 2019 und 2020 gingen die Gebrauchtwagenverkäufe in den fünf großen europäischen Märkten (Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Vereinigtes Königreich) zwar um 2,6 Millionen Einheiten zurück (von 29,3 Millionen auf 26,7 Millionen), was teilweise auf Lockdowns zurückzuführen war. Jedoch erholten sich die Gebrauchtwagenmärkte rasch wieder und erreichten bald 27,8 Millionen Transaktionen, was einem Rückgang von lediglich 5 % gegenüber dem Jahr 2019 – dem Jahr vor der C0VID-19-Pandemie – entspricht.
Im Vergleich dazu gingen die Neuwagenverkäufe im Jahr 2020 gegenüber 2019 um etwa 25 % zurück und lagen am Ende leicht unter dem Niveau von 2021. Laut den jüngsten Prognosen für 2022 könnten die Neuwagenverkäufe weiter zurückgehen, allerdings nicht in demselben Ausmaß wie die Gebrauchtwagenmärkte, die 2022 gegenüber 2021 rund drei Millionen Transaktionen verlieren werden.
„Im dritten Jahr der unterbrochenen Lieferketten für die Automobilindustrie wendet sich das Blatt für die Gebrauchtwagenmärkte“, meint Andreas Geilenbrügge, Head of Valuations & Insights bei Schwacke (Teil der Autovista Group), dazu. „Das Gebrauchtwagengeschäft gerät unter Druck. Unsere jüngste Prognose zeigt, dass es allein für Deutschland im Jahr 2022 eine Million weniger Gebrauchtwagen-Transaktionen geben wird. Die Zahl der erwarteten Transaktionen liegt nur etwa bei 5,7 Millionen, verglichen mit 6,7 Millionen im Jahr 2021 – ein Rückgang von 15 %.”
 
 
Neu- und Gebrauchtwagen-Transaktionen in den fünf größten Märkten 2017-2022*
 
 

Konsumklima auf historischem Tiefstand

Dieser Rückgang ist deutlicher, als viele Marktteilnehmer zu Beginn des Jahres erwartet hatten. Es gibt mehrere Gründe, warum die Gebrauchtwagenmärkte derzeit so angespannt sind:
●       Angesichts der galoppierenden Inflation sind die Gebrauchtwagenpreise so stark gestiegen, dass die Elastizität der Nachfrage zum Tragen kommt. Die Menschen überlegen sich genau, ob sie sich den Kauf eines Gebrauchtwagens zu diesem Preis leisten können. Die Alternative ist, länger an einem bestehenden Gebrauchtwagen festzuhalten.
 
●       Eine veränderte Geldpolitik der Zentralbanken, die auf die Bekämpfung der Inflation abzielt, birgt die konkrete Gefahr negativer Folgen für die Wirtschaft und die Arbeitsmärkte. Dies ist ein weiterer entscheidender Faktor für zögerliche Kaufentscheidungen.
●       Die russische Aggression in der Ukraine fügt der Gleichung eine weitere Ebene der Unsicherheit hinzu, die nicht nur mit den steigenden Energiekosten zusammenhängt. Das Vertrauen der Verbraucher befindet sich auf einem historischen Tiefstand.
●       Der anhaltende Mangel an Neuwagenangeboten verringert auch die Zahl an verfügbaren Gebrauchtwagen. So müssen beispielsweise Modelle, die 2018/2019 neu zugelassen wurden und bei denen nun eine Verlängerung des Leasingvertrags ansteht, länger gehalten werden, da keine Ersatzwagen hereinkommen – wodurch sich die Gesamtzahl der neu gelisteten Gebrauchtwagen verringert. Darüber hinaus bedeuten die vergangenen drei Jahre mit deutlich weniger Kurzzeit-Zulassungen eine geringere Anzahl an (jungen) Gebrauchtwagen auf dem Markt.

Weniger Gebrauchtwagen-Transaktionen

Die rückläufige Entwicklung auf den Gebrauchtwagenmärkten ist weitgehend auf ältere Gebrauchtwagen zurückzuführen, d. h. auf solche, die älter als vier oder sogar zehn Jahre sind. Die Geschäfte mit jüngeren Gebrauchtwagen, insbesondere mit solchen, die aus dem Leasing kommen, haben sich bemerkenswert gut gehalten. „Sie liegen weitgehend auf Vorkrisenniveau“, so Marc Odinius, Managing Director bei Dataforce. „Wir beobachten nun auch, dass der erwartete Rückgang bei den Kurzeit-Zulassungen auf die Gebrauchtwagenmärkte durchschlägt, da die OEMs nach höherwertigen Kanälen suchen. Aus diesem Grund sind die Gebrauchtwagen-Transaktionen in der Altersgruppe zwischen null und zwei Jahren rückläufig. Der stärkste Rückgang ist jedoch eindeutig bei den älteren Fahrzeugsegmenten zu verzeichnen.”

 Gebrauchtwagen-Transaktionen nach Alter (Beispiel: Deutschland) Januar 2017-2022*


*Ganzjahresprognose für 2022
Quelle: Nationale Zulassungsstellen, Dataforce, Autovista24 analysis
 
Hohe Preise dämpfen die Kompromissbereitschaft

Das Segment der über vier Jahre alten Gebrauchtwagen gerät zunehmend unter Druck. In dieser Kategorie sind die Preise stärker als in jeder anderen Altersgruppe angestiegen, was erklärt, warum sich dieses Segment jetzt verlangsamt. Laut Geilenbruegge ist es „aufgrund des verknappten Angebots in Kombination mit sehr hohen Preisen schwieriger, den richtigen Käufer für ein bestimmtes Fahrzeug zu finden. Bei diesen Preisen sind die Menschen nicht bereit, Kompromisse einzugehen, und einige verlassen den Markt.”

Gebrauchtwagen-Preisindex nach Altersgruppe (Beispiel: Deutschland)
 

Quelle: Autovista Group, Residual Value Intelligence
 
Unsichere Prognose für 2023

Die Ursprünge der aktuellen Krise liegen in unterbrochenen Lieferketten, einer starken Nachfrage sowie einer soliden privaten und öffentlichen Kaufkraft. Nach dem Konjunktureinbruch im Jahr 2020 kam es 2021 zu einem raschen Aufschwung, der die Energiepreise und die Inflation bereits gegen Ende 2021 in die Höhe trieb.
Der russische Einmarsch in der Ukraine Anfang 2022 hat die Energiepreise weiter in die Höhe getrieben. Sie machen etwa 50 % der Inflation aus, die wir in Europa erleben. Die Zentralbanken greifen spät, aber dafür umso härter durch, was die Wirtschaft zusätzlich belastet. Darüber hinaus kommt es in China nach wie vor zu Engpässen bei der Halbleiterproduktion sowie zu Lockdowns, die die Lieferketten weiterhin beeinträchtigen. Auch weitere Coronaviruswellen im Herbst und Winter könnten negative Auswirkungen haben.
Das Basisszenario der Autovista Group für 2023 geht von anhaltenden Lieferkettenproblemen, einem sehr niedrigen Wirtschaftswachstum gepaart mit hoher Unsicherheit und einer Inflation oberhalb der erwarteten Werte aus. Dadurch werden die Neu- und Gebrauchtwagenmärkte weiterhin unter Druck stehen. Der derzeitige Rückgang auf den Neuwagenmärkten wird großteils von Lieferkettenproblemen verursacht – die meisten Fahrzeuge, die zugelassen werden sollen, wurden bereits vor vielen Monaten bestellt. Einige der Lieferkettenprobleme in der Automobilindustrie sollten sich 2023 – dem vierten Krisenjahr – verbessern.
Die Neuwagenzulassungen sollten im Vergleich zu 2022 wieder ansteigen. Dies sollte auch die Gebrauchtwagenmärkte entsprechend anregen, da mehr Autos auf den Markt kommen werden. Sowohl auf dem Neuwagen- als auch auf dem Gebrauchtwagenmarkt wird für 2023 eine Erholung erwartet, was aber nicht bedeutet, dass 2023 für die Automobilindustrie ein Jahr des Aufschwungs wird.
Natürlich hängen die Prognosen für 2023 davon ab, wie schnell eine Abnahme der Vielzahl an negativen Faktoren erwartet wird. Es könnten sich im Jahr 2023 auch positivere Szenarien entwickeln – wenn in der Ukraine beispielsweise eine stabile Waffenruhe erreicht werden kann, oder wenn die Energiepreise fallen. Leider scheint es jedoch ratsam, die Prognosen auf eine negativere Wendung der Dinge auszurichten. So stellte der IWF in seiner Wirtschaftsprognose vom Juli fest: “ … die Risiken für die Prognose deuten eindeutig in eine ungünstige Richtung.”
 

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